„Nur Fliegen ist schöner…“ – diese vier Worte reichen aus, um Sehnsüchte und pure Emotionen zu wecken. So wie der Slogan als Klassiker in die Werbegeschichte einging, so ist der Beworbene selbst zum Klassiker geworden: Vor 57 Jahren rollte der erste Opel GT – ein reinrassiges Sportcoupé mit unwiderstehlichem Charme – vom Band. Damals wie heute ein echtes Traumauto und ein Meilenstein der Automobilgeschichte.
Experimental GT: Die Opel-Entwickler gehen aufs Ganze
Die Karriere des Opel GT beginnt genau genommen nicht vor 57, sondern vor 60 Jahren – mit einem Paukenschlag: Auf der IAA 1965 in Frankfurt präsentiert Opel einen zweisitzigen Sportwagen, der mit seiner aufregenden Karosserielinie, dem flachen Bug mit Klappscheinwerfern, bauchigen Kotflügeln und scharfer Abrisskante am Heck die Vorstellungskraft europäischen Automobildesigns sprengt. Vielmehr erinnert sein Äußeres an die stark taillierte Form der klassischen Coca Cola-Flasche, deshalb auch „Coke Bottle Shape“ genannt. Entsprechend weisen die Verantwortlichen den „Experimental-GT“ – das erste Konzeptfahrzeug eines deutschen Herstellers – zunächst als einzelne Hochleistungsstudie aus. Entworfen haben das außergewöhnliche Fahrzeug die Designer um Erhard Schnell im nigelnagelneuen Rüsselsheimer „Styling-Studio“ – dem ebenfalls ersten Designcenter eines Automobilherstellers in Europa.
Erhard Schnell erinnert sich, wie geheim die Entwicklung des Experimental GT war: „Am Anfang war sie ein Alleingang von uns im Styling. Mein Chef hatte den Vorstand nicht eingeweiht. Als die Studie dann fast fertig war und auf der IAA gezeigt werden konnte, kam er aber nicht drum herum, seine Vorgesetzten zu informieren. Wir hatten wirklich große Bedenken, als der Experimental GT zum ersten Mal intern vorgeführt wurde. Uns ist dann ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, als die hohen Herren spontan applaudiert haben und völlig hingerissen waren.“
Und sie damit genau das richtige Gespür beweisen. Denn das Publikums- und Medienecho auf der IAA kurz darauf ist überwältigend: Niemals hätte man von Opel einen derart extravaganten Sportwagen erwartet. Von dem mutigen Design sind Presse und Besucher mehr als beeindruckt. Und so kommt es, dass sechs Jahre nach den ersten Designskizzen und nur drei Jahre nach der Initialzündung auf der IAA der GT-Prototyp in Rekordzeit zum Serienauto reift.
Grenzübergreifende Zusammenarbeit für ein grenzenloses Traumauto
1968 rollt der erste Opel GT vom Band, zuvor auf Herz und Nieren geprüft im neuen Opel-Testzentrum Dudenhofen. Das Sportcoupé ist schon damals das Ergebnis einer deutsch-französischen Zusammenarbeit und somit ein echter Europäer: Die französischen Karosseriebauer Chausson und Brissoneau & Lotz, bei Opel aufgrund vorangegangener Projekte wohlbekannt, übernehmen die Press- und Schweissarbeiten der Blechteile sowie Lackierung und Innenausstattung, in Deutschland findet die Montage von Fahrwerk und Motor statt.
Für die GT-Kunden stehen zwei Triebwerke zur Wahl: Ein aus der Kadett-Familie bekannter 1,1-Liter-Vierzylinder mit 60 PS und ein 90 PS starkes 1,9-Liter-Aggregat aus der Rekord-Baureihe. Von Anfang an besonders gefragt ist der GT 1900: Bei 185 km/h Spitze und einer Beschleunigung von null auf Tempo 100 in 11,5 Sekunden schlagen die Herzen sportlicher Autofahrer höher. Serienmässig gelangt die Motorkraft über ein manuelles Viergang-Getriebe zur Hinterachse. Die optionale Dreigang-Automatik wird von den europäischen Kunden äusserst selten gefordert, dafür erfreut sie sich in Übersee umso grösserer Beliebtheit.
Friedhelm Engler, Design Director Exterior bei Opel, beschreibt das Handeln der damals Verantwortlichen so: „Es war schon sehr vermessen, ein echtes Frontmittelmotor-Konzept auf Basis der B-Kadett-Fahrzeugarchitektur vorzuschlagen. Statt bewährte Grossserien-Zutaten mit einer neuen Aussenhaut zu garnieren, hatte man keine Scheu vor dem ganz grossen Wurf, einem wirklichen Gran Turismo. Das hatte fast schon etwas Lausbübisches, etwas Freches. So sind sie einfach, die Hessen. Man könnte sagen, der GT ist stahlgewordener Mut.“
Innen wie außen revolutionär
Die Karosserie des Serienfahrzeugs unterscheidet sich erheblich vom Ur-GT – zu seinem Vorteil: Die GT-Hülle wirkt noch durchtrainierter als zuvor. Die Frontpartie fällt voluminöser aus, der vordere Überhang ist kürzer. Muskulöse Ausbuchtungen für den Ansaugtrakt – die „Nüstern“ – ermöglichen eine flachere Motorhaube, die eckigen Klappscheinwerfer des Experimental-GT sind runden „Schlafaugen“ gewichen, die dem Sportcoupé ein unverwechselbares, noch emotionaleres Gesicht geben. Zugleich sorgt seine kraftstrotzende und dennoch geschwungen-elegante Linienführung für eine Top-Aerodynamik und dafür, dass der legendäre Werbespruch vom Fliegen nicht doch zur Realität wird: Die hintere, umlaufende Abrisskante bietet ausreichenden Abtrieb, so dass das Coupé auch bei hoher Geschwindigkeit sicher auf der Strasse bleibt. Allerdings haben die Ingenieure während der Entwicklung genau damit ein, wenn auch nur journalistisches, Problem: Das neue Modell kann nirgends unerkannt zu Testfahrten aufbrechen, denn, so die Presseerklärung von September 1968, „die aerodynamische Form der GT-Erlkönige lies eine Tarnung durch Attrappen einfach nicht zu“.
Ebenso wie beim Außendesign verströmt der Vorzeige-Sportler im Innenraum mit seinen Schalensitzen, dem Dreispeichen-Lenkrad und den modernen Rundinstrumenten ein Flair, das bei den Käufern und Liebhabern gestern wie heute nur Eines weckt: pure Emotion. Bei aller Begeisterung, die die Opel-Konstrukteure mit dem GT auslösen, achten sie jedoch auch penibel auf den Insassenschutz: Mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten, eingebautem Überroll- und Seitenaufprallschutz, einem stabilen Fahrgastraum, abgewinkelter Sicherheitslenksäule und vielen weiteren Vorkehrungen setzt der Opel GT Maßstäbe für seine Zeit.
Von sportlichen Erfolgen und Rekordfahrzeugen
Der Opel GT ist mit seinem tiefen Schwerpunkt, niedrigem Gewicht, steifer Karosserie und ausgezeichneter Dynamik wie gemacht für den Motorsport. So fahren beispielsweise Conrero-GTs Anfang der 1970er Jahre bei Langstreckenrennen genauso wie bei den Opel-Markenrennen auf dem Nürburgring Erfolge ein. Dazu kommen weitere technische Highlights: 1971 macht Dr. Georg von Opel, Enkel des Firmengründers, den GT zum Stromer. Die mittels Elektromotor angetriebene Version erzielt knapp 189 km/h Spitze und mehrere Weltrekorde. Im Juni 1972 stellt ein modifizierter Opel GT mit Dieselmotor – auch „Nagelfeile“ genannt – auf der Hochgeschwindigkeitskreisbahn in Dudenhofen bei Versuchsfahrten zwei Welt- und 18 internationale Rekorde auf: Die gestoppte Höchstgeschwindigkeit über die Distanz von 1‘000 Metern bei fliegendem Start liegt bei 197 km/h – für Dieselfahrzeuge damals eine Sensation. GT-Designer Erhard Schnell erinnert sich, wie der GT zu seiner nochmals flacheren Form kam: „Das Ganze durfte nicht viel kosten. Deshalb haben wir bei einem Auto, das ursprünglich zum Cabrio umgestaltet werden sollte, einfach das Dach abgeschnitten.“ Einfache Lösung – sensationeller Erfolg!
Apropos Cabrio: Bereits 1969 scheint sich für die Freiluft-Fans unter den Autofahrern ein weiterer Traum zu erfüllen: Opel stellt den Aero GT mit elektrisch versenkbarer Heckscheibe und abnehmbaren Dach auf der IAA vor. Doch zum Leidwesen der Cabrio-Liebhaber bleibt der offene GT eine Studie.
Nichtsdestoweniger begeistert der Serien-GT bis zu seinem Produktionsende 1973 die Kunden: Seine starke Leistung, das unvergleichliche Design und der attraktive Einstiegspreis von nur 10.767 D-Mark machen den Sportwagen zum Renner in der Käufergunst, der alle Erwartungen übertrifft. In nur fünf Produktionsjahren erreicht er eine Gesamtauflage von 103.463 Einheiten. Sowohl die europäischen wie auch die amerikanischen Kunden lieben das extravagante Opel-Modell – bis heute hat der GT seine Fans auf beiden Kontinenten. Zugleich beweist die Stilikone, dass die Designer und Entwickler in Rüsselsheim schon damals nach dem Leitsatz von „deutscher Präzision und skulpturaler Formgebung“ arbeiten und so Modelle für die Ewigkeit entwerfen. Oder wie Schauspieler und Opel GT-Fahrer Ken Duken bescheinigt: „Die Werbung lügt. Fliegen ist gar nicht schöner!“
Der Opel GT Irmscher von Kris Ruelens
Der zu sehende Opel GT Irmscher gehört Kris Ruelens aus Belgien. 2.943 Arbeitsstunden und einen sechsstelligen Eurobetrag hat Kris aufgewendet, um das Coupé wiederherzustellen. Seinerzeit trumpfte das Auto mit dem Fahrer Peter Wolf bei Rennen wie dem GP Suisse auf – und wurde später verschrottet. Warum diese enorme Anstrengung? „Weil das Auto herausragend smart und effizient für die Piste angelegt war“, sagt er. „Weil es zudem bei seinen Rennteilnahmen als Underdog Siege gegen Porsche 911 und 914 einfuhr. Und weil es einzigartig schön ist.“
Ruelens GT-Leidenschaft hatte anfangs einen tragischen Aschenputtel-Moment. „Ich war fünf und spielte bei meiner Oma Céline mit anderen Kindern im Garten“, berichtet er. „Als ein Auto vorbeifuhr, was in dem Dorf selten passierte, schauten wir alle über die Hecke zur Straße hin. Und da sah ich sie, diese runden, formvollendeten Rückleuchten.“ Wie das Fahrzeug hieß, wusste niemand. Ruelens suchte und suchte, doch erst Jahre später erkannte er in einem Automagazin die Heckansicht wieder. „Seither bin ich ein GT-Mann.“
Der GT Irmscher hat einen einzigartigen Rennmotor mit 228 PS unter der Haube und bringt 890 Kilo auf die Waage. Beim Wiederaufbau recherchierte Kris sogar die Aufkleber aus den Siebzigern und ließ sie originalgetreu nachdrucken. Die gelöcherten Elemente in den Scharnieren und in Teilen der Karosserie dienen der Gewichtsreduzierung – sie sind Kris Ruelens Lieblingsdetails an seinem GT Irmscher. Der Innenraum bietet Recaro-Sportsitze und im hinteren Teil einen Sicherheitsüberrollbügel.
Die Karosserie konnte er in den Niederlanden erwerben - ursprünglich stammt sie aber aus Oregon (USA). Rostfrei musste diese sein, denn das war eine Voraussetzung, um das Projekt realisierbar zu machen", sagt Kris. "Ich konnte viele Teile von einem Rennwagen kaufen, der damals auf einer Rennstrecke verunglückte. Aber mir fehlte immer noch ein ganzer Berg von Teilen und es kostete Blut, Schweiß und Tränen, um diese zu finden."
Ja und daraus ist dieser Eyecatcher entstanden - Chapeau, Kris Ruelens. Quelle: Opel Post
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